Die Geschichte der KAP

Vor 20 Jahren wurde die Kammerakademie Potsdam gegründet. Was unkompliziert klingt, war in Wirklichkeit ein langer Prozess, und spannend wie ein Krimi.

Viele der Potsdamerinnen und Potsdamer, die die KAP seit ihrem Entstehen begleitet haben, erinnern sich sicher an die Zeit des großen Umbruchs, aus dem die KAP hervorging. Die Ausgangslage in aller Kürze: Das Land Brandenburg hatte entschieden, die Brandenburgische Philharmonie abzuwickeln. Dem hatte die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung unter der Voraussetzung zugestimmt, dass die Stadt ein eigenes Kammerorchester erhält. Ensembles aus der Region waren aufgerufen, sich zu bewerben. Dies taten unter anderem das Potsdamer Persius Ensemble, bei dem Peter Rainer und Bettina Lange Mitglieder waren, sowie das Berliner Ensemble Oriol, dem Renate Loock und Christoph Hampe angehörten. Persius und Oriol erhielten gemeinsam als neu gegründete Kammerakademie Potsdam den Zuschlag.

Woran erinnert ihr euch, die ihr die Entwicklungen hautnah miterlebt habt?

Peter Rainer Es war ein echter Krimi mit verschiedenen Handlungssträngen, sehr kompliziert und verwickelt, und überaus aufregend …

Bettina Lange Konkret reingezogen in den Neugründungskrimi wurden wir bei einem Konzert des Persius Ensembles im Schloss Lindstedt, als in der Konzertpause auf einmal Herr Sedemund, der spätere Gründervater der Kammerakademie Potsdam, vor mir stand, mir von einem Vorschlag erzählte und mich für einen Sonntagvormittag zu sich einlud. Das kam in einem unglaublich chaotischen Moment für uns, wir hatten Existenzsorgen wegen der Abwicklung der Brandenburgischen Philharmonie, wussten, dass man sich bei der Stadt Potsdam bewerben konnte und wir das irgendwann in Angriff nehmen müssten, aber nicht wussten, wie. Das Persius Ensemble hatten wir aus Lust am Spielen gegründet, und haben mit großer Leidenschaft und ohne fremde Finanzierung eine Konzertreihe in Potsdam aus dem Boden gestampft. Plötzlich stand ich also bei Herrn Sedemund zuhause und habe vom Persius Ensemble erzählt, weil er unser Konzert genossen hatte, Potential für die Bewerbung in der Stadt sah und uns auf diesem Weg begleiten und unterstützen wollte.

Peter Rainer Eine große Rolle hat auch der Zufall gespielt. Wir hatten vorher lange einen gemeinsamen Verein mit anderen Potsdamer Musiker*innen. Dort kam es aber zu Streitigkeiten, woraufhin wir aus dem Verein ausgetreten sind. Das hat neue Fusionen ermöglicht, und genau in diese Lücke ist das Berliner Ensemble Oriol gestoßen, die sich ebenfalls bei der Stadt Potsdam beworben hatten.

Christoph Hampe Zunächst waren unsere Bewerbungen aber erfolglos, zweimal wurde uns abgesagt. Wir Musiker vom Ensemble Oriol haben von den politischen Hintergründen in Potsdam gar nicht so viel mitbekommen, wir waren allein damit beschäftigt, Musik zu machen und das ganz toll zu finden.

Renate Loock Das Ensemble Oriol war das Zünglein an der Waage, denn die Stadt hatte bestimmt, dass ein großer Anteil der Musiker*innen aus Potsdam stammen sollte. Deshalb war klar: Für wen sich das Ensemble Oriol entscheidet, der wird’s. Ich selbst hatte im Abwicklungsjahr der Brandenburgischen Philharmonie noch die Stelle als Konzertmeisterin von dir, Peter, übernommen, und war gleichzeitig Mitglied im Ensemble Oriol geworden. So habe ich dieses für das Potsdamer Orchester traumatisierende Jahr hautnah miterlebt, und bin gleichzeitig bei Mitgliederversammlungen des Ensembles Oriol auf die freischaffenden Berliner Musiker getroffen.

Man sollte dazu wissen, dass das Ensemble Oriol sehr anspruchsvolle Programme kreierte, aber die Konzerte nie gut verkauft waren, so dass es nach anderen Wegen suchen musste, um sich zu finanzieren.

Christoph Hampe Ich war seit 1990 Mitglied im Ensemble Oriol. Das war absolut unterhalb jeden Existenzminimums, was auch dazu geführt hat, dass einige Musiker, die tragende Säulen des Orchesters waren, gegangen sind. Man leistete sich, keine Perspektive zu haben. Ich bezweifle, dass das Orchester noch zwei, drei Jahre überlebt hätte, wenn sich die Option in Potsdam nicht aufgetan hätte, und diesen Zuschlag damals zu kriegen war wirklich eine Befreiung.

Antonello Manacorda Eure Erzählungen bringen einige wiederkehrende Themen ans Licht: Man musste durch eine sehr schmerzhafte Situation gehen, bevor das Orchester gegründet wurde, und es gab auf beiden Seiten eine Mischung aus Existenznot und großem Idealismus. Aus dieser Energie ist die KAP entstanden.

Peter Rainer Das stimmt, das Ganze war ein irres Spannungsfeld. Ein kleines Ensemble mit Bläsern und Streichern auf der einen, ein großes reines Streicherensemble auf der anderen Seite; das eine aus einem Tariforchester hervorgegangen, das andere freischaffend. Von dieser Energie haben wir 10 Jahre lang gezehrt, im Positiven und im Negativen. Es war eine einmalige Situation, wie ein Stern entsteht, nicht vergleichbar mit einer „normalen” Orchestergründung, wo ein paar Gleichgesinnte sich zusammenschließen.

Renate Loock Es war eigentlich gelebte Demokratie im Mikrokosmos: Wir haben um Positionen gerungen, und zwar immer menschlich angreifbar und emotional. Diese Gleichzeitigkeit von Demokratie und Hierarchie, das Anachronistische eines jeden Orchesters, hat sich da in aller Deutlichkeit gezeigt. Daneben war ein wesentlicher Faktor, dass ein Berliner mit einem Potsdamer Ensemble fusioniert hat, und es hat sehr lang gedauert, bis das Orchester als Ganzes in Potsdam heimisch wurde.

Die Anfangsjahre der KAP waren mit mehreren Musikalischen Leitern verbunden: Auf Peter Rundel folgten Sergio Azzolini, Andrea Marcon und Michael Sanderling, seit 2010 bist du, Antonello, Musikalischer Leiter. Wie haben diese Persönlichkeiten die Entwicklung des Orchesters beeinflusst, und wann hatte sich aus der heterogenen Gruppe ein homogener Klangkörper geformt? Gab es einen Zeitpunkt, ab dem es nur noch um Musik ging und die Reibungen weniger wurden?

Bettina Lange Weil jeder einzelne von uns von Anfang an sehr viel Verantwortung übernommen hat, lässt uns dieses gemeinsame Ringen bis heute nicht los, niemand von uns kommt nur zum Spielen hierher. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass das Orchester so funktioniert, dass wir irgendwann „ankommen” könnten.

Renate Loock Es gab aber doch einen Punkt, und zwar als Antonello kam. Er ist bis heute jemand, der innerhalb des Orchesters nicht polarisiert, wir waren uns alle auf Anhieb einig, dass er unser Chefdirigent werden sollte.

Peter Rainer Das kann ich nur unterstreichen. Ganz zu Anfang hatten wir die Situation, dass die Konzertmeister der beiden Ensembles wechselweise die Leitung übernommen haben, aber da war schon klar, dass es eine verbindende Person geben musste, und das konnte nur ein Künstlerischer Leiter sein. Auch mit Sergio Azzolini und Michael Sanderling hatten wir sehr gute Zeiten, aber in dieser Intensität und über einen so langen Zeitraum gemeinsam musikalisch denken zu können, das kam erst mit Antonello.

Antonello Manacorda Wahrscheinlich hat das mit meiner persönlichen Vorgeschichte zu tun. Ich hatte auch als Geiger ein Kammerorchester mitgegründet, einfach aus der Not heraus, miteinander spielen zu wollen. Bei der KAP habe ich einen ähnlich fruchtbaren, offenen Ort vorgefunden, der auch mit den vorherigen musikalischen Leitern zu tun hatte: ähnlich starke Gegensätze wie Sergio Azzolini, Michael Sanderling und Andrea Marcon kann man sich kaum vorstellen. Und bei unserem ersten Konzert dachte ich: Hier kann man alles machen, in alle Richtungen experimentieren.

Renate Loock Das war etwas, was das Ensemble Oriol in das Orchester hineingetragen hat: unbegrenzte Offenheit und den Willen, immer etwas Neues kennenzulernen. „Lass uns das ausprobieren” ist nach wie vor in den Proben einer der beliebtesten Sätze. Das bringt dann mit sich, dass man sich von Sergio Azzolini ebenso begeistern lassen kann wie von Michael Sanderling oder Andrea Marcon. Ich muss zum Beispiel immer wieder an ein absolutes Aha-Erlebnis denken: Als wir mit Sergio an einem Mittwochabend in Salzgitter ein Fagottkonzert von Händel gespielt haben – ich meine: wer will das hören? Und dann gab es da Standing Ovations!

Bettina Lange Diese Geschichte wollte ich auch erzählen. Sergio hat bei uns so viel bewirkt, und zwar nur über das Musikmachen. Es krachte gerade an allen Ecken und Enden im Orchester, aber wir haben uns auf ihn eingelassen, und es ging einfach zu 150 % um die Musik und diese Energie. Diese Art zu spielen, diese Besessenheit, die kannte ich vorher nicht. Er hat es geschafft, uns allein über die Musik zu tragen, das Orchester hätte sonst auch auseinanderfallen können.

Schauen wir uns die letzten zehn Jahre an: Es kamen CD-Aufnahmen mit Schubert- und Mendelssohn-Zyklen, ein ECHO Klassik, die Konzertreisen wurden immer länger und internationaler, die Terminkalender voller – wie habt ihr das erlebt?

Antonello Manacorda Die CDs haben eine sehr große Rolle gespielt. Ich habe von Anfang an dafür gekämpft, dass wir als Orchester CDs aufnehmen, auch ohne erfolgreiche Solisten. Unser heutiges Plattenlabel Sony musste aber erst mit einer von uns komplett selbst finanzierten Aufnahme von zwei Schubert-Sinfonien überzeugt werden, nur so haben wir es geschafft, unseren Schubert-Zyklus ins Rollen zu bringen.

Renate Loock Stellvertretend für diese letzten zehn Jahre steht für mich ein besonderer Moment im Teatro Colon in Buenos Aires, beim Schlussapplaus. Dieses legendäre Theater ist voll bis in den obersten Rang, und ich habe in unsere Reihen geschaut, auf unser Ensemble und ich war so wahnsinnig stolz auf das, was wir geschafft hatten.

Peter Rainer Die CDs als Visitenkarte zu haben, gleichzeitig eine große Südamerika- und Europatournee zu machen, das waren die ersten Momente, wo wir in großen Sälen gefeiert wurden. Das war für das künstlerische Selbstverständnis des Orchesters ein ganz wichtiger Schritt. Jetzt haben wir uns ja vielleicht schon daran gewöhnt …

Antonello Manacorda Das glaube ich nicht. Wisst ihr noch, das letzte Konzert vor dem Corona-Lockdown, in der Elbphilharmonie, als wir die ersten Cs von der Coriolan-Ouvertüre gespielt haben? Das war genauso stark wie unser allererstes Konzert. Diese ewige Neugier, die im Orchester immer sein wird, sorgt dafür, dass diese Ehe auch nach 20 Jahren noch so frisch ist wie im ersten Jahr.

Renate Loock Für mich hängt das auch ganz klar zusammen. Das Orchester ist so, wie es ist, eben weil wir von Anfang an in einem Spannungsfeld agiert haben. Wir sind nie zu 100 % zufrieden, immer auf der Suche.

Alexander, als du 2014 die Geschäftsführung der Kammerakademie Potsdam übernahmst, was für eine Situation hast du da vorgefunden?

Alexander Hollensteiner Als sich für mich die Frage stellte, ob ich Nachfolger von Frauke Roth werden würde, habe ich in allen Vorgesprächen eine unglaublich gute Energie und genau die Begeisterung, die ihr beschreibt, gespürt. In der Konzertbranche war das Orchester allerdings noch nicht so bekannt, und so hatte ich direkt Lust, möglichst vielen Menschen von diesem Edelstein zu erzählen, der sich 14 Jahre lang geschliffen hatte und jetzt schon im Verborgenen blitzte.

Und so kam als erster Big Point das Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie mit Fazil Say, und das war ein echter Wendepunkt, ab da wurde das Orchester auch außerhalb Potsdams viel stärker wahrgenommen. Wir haben sehr viel investiert und sinnvoll expandiert, und dadurch mittlerweile eine Stabilität geschaffen. Dementsprechend werden wir heute ganz anders wahrgenommen, sowohl in der Stadt Potsdam als auch darüber hinaus.

Renate Loock Ich finde, dass das auch jetzt im Corona-Jahr deutlich wurde, da die Stadt Potsdam und das Land Brandenburg uns so toll unterstützt haben. Es ist klar, dass wir ein Leuchtturm sind, und das hatten wir vorher selbst noch nie so eindeutig wahrgenommen.

Alexander Hollensteiner Neben dem Gestalten eines abwechslungsreichen Konzertprogramms haben wir uns nach und nach mit wesentlichen gesellschaftlichen Fragen beschäftigt: Wie erreichen wir bisheriges Nicht-Publikum? Wie können wir ganz konkret Kinder und Jugendliche aus schwierigen Lebensumständen unterstützen? Wie funktioniert ein nachhaltiger Musikbetrieb? Daraus haben sich spannende Angebote, kreative Formate und ein neues Selbstverständnis entwickelt. Diese Auseinandersetzung wird uns in die Zukunft tragen.

Apropos: Was wünscht ihr euch für die Zukunft der KAP?

Christoph Hampe Eine Freundin von mir hat neulich erzählt, dass sie uns oft im Radio hört und schwört, uns am Klang erkennen zu können. Das war immer mein Traum, dass wir ein solches Orchester sind. Und ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, diese Energie zu bewahren, in den Bereichen der Selbstverwaltung ebenso wie auf der Bühne.

Antonello Manacorda „Uns” kann ich nur wünschen, dass wir gemeinsam weiter Neues entdecken, aber „Euch” wünsche ich, dass ihr einen Weg findet, in der Orchesterlandschaft ein leuchtendes Beispiel zu sein: ein freischaffendes Ensemble, das gleichzeitig finanziell von Stadt und Land getragen wird, Motor sind die persönlichen Energien der Musiker*innen, und das Ganze wird angetrieben von der Lust an der Kunst – das ist eine Kombination, die es sonst sehr selten gibt.

Bettina Lange Kaum einer hätte 2001 gedacht, dass wir 2021 das Jubiläum feiern können. Wir haben in diesen 20 Jahren unser Möglichstes getan, um respektvoll miteinander umzugehen und alle Entscheidungen von einer gemeinsamen musikalischen Idee leiten zu lassen. Die nächsten 80 Jahre sollen mit ähnlicher Euphorie gestaltet werden.

Unsere Jubiläumssaison

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Die KAP wird 20!

In der Saison 21.22 feiern wir 20 Jahre Kammerakademie Potsdam - und Sie können mitfeiern.

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