FinsterHERZ oder Orfeo17

01. Oktober 2017

Seit 30 Jahren verknüpft der 1961 in Ost-Berlin geborene und in Brandenburg lebende Gitarrist, Komponist, Autor und Regisseur Helmut Oehring poetische und dokumentarischpolitische Inhalte. Seine vielfach preisgekrönten Werke bewegen sich auf der Schnittstelle zwischen instrumental-vokalem Theater und szenischem Konzert. Als Kind gehörloser Eltern aufgewachsen, thematisiert er die Grenzen menschlicher Kommunikation, die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten diesseits und jenseits von Sprache.

In FinsterHERZ oder Orfeo17 suchen Helmut Oehring und sein langjähriges künstlerisches Team – Librettistin und Co-Regisseurin Stefanie Wördemann und Klangregisseur Torsten Ottersberg – künstlerisch-autobiografische Begegnungen: Zwischen den Musikern der Kammerakademie Potsdam und Solisten im Bereich von zeitgenössischer Musik, Jazz und syrischer Avantgarde sowie gehörlosen Geflüchteten und Musikern, die Asyl in Brandenburg suchen. Zwischen Claudio Monteverdis Oper L’Orfeo und Joseph Conrads Roman Herz der Finsternis – zwei „Reiseberichten“ an konkrete Orte – ins antike Totenreich bei Monteverdi, nach Belgisch-Kongo/Westafrika während des Genozids an den Ureinwohnern in der Kolonialzeit bei Conrad –, zugleich aber auch zeitlose Geschichten von Heimat, Identität, Kultur, Ethik und Sprache, traumatische Reisen ins Seelenleben ihrer Protagonisten.

Es entsteht ein vielschichtiger audio-visueller Dialog: Mit wechselnden Erzählperspektiven suchen Oehring und das künstlerische Team im offenen Prozess zwischen Komposition und Realisation multilinguale Begegnungen zwischen den Interpreten und den gehörlosen Geflüchteten und Exil-Musikern, zwischen Alter und Neuer Musik, Poesie und Dokumentation, Klang und Stille, Fluchterinnerungen und Exilexistenzen – zielend ins Herz unserer Gesellschaft.

Allen Begegnungen gemeinsam ist dabei der Aspekt des Grenzüberschreitenden. Ob zwischen Heimat und Fremde, Kommunikation und Sprachlosigkeit, Alter und Neuer Musik, gesprochener Sprache und Gebärde, Interpreten und Publikum – während des Entstehungsprozesses der audiovisuellen, instrumentalvokal-theatralen Partitur und ihrer Realisierung im Grenzbereich zwischen Musik und Theater, Poesie und Dokumentation, Kunst und Gesellschaft wird fremdes Terrain ebenso ausgelotet wie in Monteverdis Oper und Joseph Conrads Roman.

„Manchmal aber befällt mich ein grenzenloser Mut.
Besondere Menschen braucht die Musik. Keine Erfüllungsgehilfen des Normalen.
Grenzgänger.
Diese Partitur erzählt auch von der Wahrheit eines Menschen in diesem Augenblick. Von Wahrheiten. Verdichtungen, Abbildern unserer Wirklichkeiten in KlangBildern.
Man kann sie spüren: Angst. Diese ganz bestimmte Angst, bei der ich als Komponist gar nicht so viel machen muss, um sie auf der Bühne zu erzeugen. Weil sie in der Luft liegt. Weil die Musiker sie atmen. Und das Publikum auch.
Manchmal aber befällt mich ein grenzenloser Mut.“

Helmut Oehring im August 2017

 

(Fotos: Stefan Gloede)